DIE GROSSEN FUSSSTAPFEN DES KAPITÄNS
Der Rechtsaußen hieß Otto Hölke und gehörte zu EC-Siegermannschaft des SC DHfK von 1966. Er war derjenige, der den Linkshändern den Rang ablief und entsprechend gefeiert wurde, wenn er nach seiner spektakulären Flugeinlage wieder einmal einen Treffer erzielt hatte. So auch beim Endspiel in Paris. Nach zehn Minuten hatte der Rechtsaußen zweimal getroffen, bei zwei Versuchen also eine makellose Bilanz, als er auf die Bank beordert wurde – um nicht mehr zurück aufs Spielfeld geschickt zu werden. Hölke hat den Grund dafür nie erfahren. „Ich wollte immer mal mit Hans-Gert Stein darüber reden, aber es hat sich irgendwie nie ergeben.“ Stein war der Trainer der Mannschaft, den Hölke natürlich schätzte. Doch die anschließenden 40 Minuten auf der Bank haben ihn geärgert, das ist noch heute zu spüren.
Im Rückraum spielte er nicht mehr, seine 1,75 m Körperhöhe prädestinierte ihn eher für die Außenposition. Und auf der rechten Seite machte Hölke seine Sache so gut, dass er viele Jahre Stammspieler war.Nach den Olympischen Spielen 1988 ging Tiedemann ins Ausland. Die isländische Nationalmannschaft sollte er ursprünglich übernehmen. „Der Vertrag war schon unterzeichnet und in der Westpresse zum Teil öffentlich geworden. Da hat sich die Sportleitung in einer Sondersitzung mit meinem Fall nochmal beschäftigt und die Sache abgesagt“, erklärte Tiedemann.
Die Absage erfolgte zur Freude der Ägypter, die ihn schon viel früher haben wollten. Dort also „landete“ er und erlebte oder besser erfuhr auch von der Wende zu Hause. Dass er nicht sofort großen Anteil am Geschehen in der Heimat nahm, hängt mit dem Tod seiner Frau zusammen. Sie arbeitete als Lehrerin in der Botschaft in Kairo, wurde jeden Morgen abgeholt und am 26. Februar 1990 beim Warten auf das Auto von einem anderen Fahrzeug angefahren.

An der Uni traf er auf Studenten aus allen Fachrichtungen, auch auf künftige Physiker. Nein, Angela Merkel sei nicht dabei gewesen, zumindest kann er sich nicht an sie erinnern. Was übrigens seinen damaligen Sportlehrer-Kollegen ähnlich geht, jeder hat bislang auf die Frage, ob er das damalige Fräulein Angela Kasner, die spätere promovierte Physikerin und noch spätere Bundeskanzlerin, unter seinen Fittichen gehabt hätte, mit dem Kopf geschüttelt.
Als die DDR-Nationalmannschaft 1980 zu den Olympischen Spielen fuhr und dort Gold gewann, freute sich Hölke auch für seine ehemaligen Mannschaftskameraden Paul Tiedemann und Klaus Langhoff. Beide gehörten wie er zur EC-Siegermannschaft von 1966 und waren inzwischen die verantwortlichen Auswahltrainer. Doch in diesem Sommer war der Sportlehrer mit seinen Gedanken nicht nur beim Handball – er hatte beschlossen, die DDR zu verlassen. Damals habe sich einiges aufgestaut. Angestellt war er am Institut für Körpererziehung der Uni. „Ich sollte Berichte schreiben über alles, was vorgefallen sei. Das hat mich unglaublich gestört.“ Außerdem kriselte seine Ehe, so dass der Plan Gestalt annahm. Vier seiner wesentlich älteren Geschwister lebten seit vielen Jahren in Schweden. Nach dem Krieg hatten sie die Insel Usedom über die Ostsee verlassen. Der jüngste Bruder war geblieben. Einer der älteren Brüder war im Frühjahr 1966 extra zum EC-Finale nach Paris gereist. Otto Hölke war von den vorherigen Reisen zu seiner Verwandtschaft stets zurückgekehrt, doch diesmal entschied er sich anders. Eine Woche blieb er in Schweden, dann fuhr er nicht wieder nach Leipzig, sondern nach Hamburg.
Es war in der DDR keineswegs selbstverständlich, dass Leistungssportler, die wie Hölke so genannte West-Verwandtschaft hatten, mit ihren Teams ins westliche Ausland fahren durften. Sie könnten ja die Gelegenheit zur Flucht nutzen und nicht zurückkommen. Bei Hölke bestand für diese Befürchtung kein Grund. Erst lange nach seiner sportlichen Laufbahn entschloss er sich zu diesem Schritt.
In Hamburg hatte er das Abschluss-Diplom seines DHfK-Studium nicht dabei. Seine damalige Frau schickte es ihm nach – und es wurde anerkannt. Selbstverständlich war das nicht. „Vielleicht lag es daran, dass mich bestimmte Leute als Handballer kannten“, vermutet Hölke.
Als die DDR-Mannschaft 1981 in Hamburg ein Länderspiel gegen die Bundesrepublik bestritt, ging er natürlich in die Halle. Er saß direkt hinter der Bank. Doch es kam, wie er es erwartet hatte, weil solche Kontakte von der DDR-Führung streng verboten wurden. Es gab also kein Hallo, keine Begrüßung, nur einen kurzen Augenkontakt mit Klaus Langhoff. Langhoff hat ihm später erklärt, wie leid ihm sein damaliges Verhalten Beta habe, Hölke reichte das.
Seit 2003 lebt er wieder auf der Insel Usedom, in Balm, elf Kilometer entfernt von Kamminke. Die Heimweh war groß, vor allem der Bernsteine wegen, die man hier gewissermaßen vor der Tür finden kann. „Wenn der Wind gut steht und die See aufgewühlt ist“, erklärt Hölke. Das war von Kind auf sein Hobby. Wer in dieser Gegend am Strand unterwegs ist und wenn solche Bedingungen herrschen, kann man relativ sicher sein, im Wasser einen Mann mit Kescher (extra angefertigt) und Watthose zu sehen, der einst spektakulär in den Kreis flog. Der Bernsteinfischer ist bestimmt der ehemalige Rechtsaußen der Europapokalsieger aus Leipzig.
Autor: Winfried Wächter