Wenn Spieler bei der Einwechslung dem Trainer die Füße küssen
Wie aus Erwin Kaldarasch ein Weltreisender in Sachen Handball wurde
Die Aufklärung folgte, wenn der Blick nach unten wanderte und zu erkennen ist, wie der junge Mann am rechten Rand der oberen Reihe auf Zehenspitzen steht. Um sich ein bisschen größer zu machen und seine 1,71 m Körpergröße etwas zu kaschieren. Was mag der Versuch gebracht hatten, sieben, acht Zentimeter? „Keine Ahnung“, antwortet Kaldarasch. „Ich hab‘ das einfach gemacht und mich spontan in diesem Moment dazu entschlossen.“ Die entsprechenden Bemerkungen der Kollegen ließen nicht auf sich warten. „Wir kannten doch unseren Erwin“, sagt sein damaliger Mannschaftskamerad Wolf-Dietrich Neiling. „Er war immer für einen Spaß zu haben und sorgte stets für gute Laune.“ Auch am Billardtisch, an dem ihm beachtliche Fähigkeiten nachgesagt werden.
Der „Spaßvogel“ kam 1958 als 18-Jähriger zum Studium an die DHfK nach Leipzig. Zu Hause war er damals im thüringischen Neustadt/Orla, wo seine Familie gelandet war, nachdem sie wie andere Deutsche während des Krieges Rumänien verlassen mussten. Dort in Brodina wurde Kaldarasch geboren. Sport war ihm gewissermaßen in die Wiege gelegt worden, schon als Kind und Jugendlicher verspürte er einen großen Bewegungsdrang. Mit dem Ergebnis, dass er 1955 in die Kinder- und Jugendsportschule Bad Blankenburg aufgenommen wurde, um hauptsächlich Leichtathletik zu betreiben. Das ließ sich auch äußerst vielversprechend an, gerade im Speerwerfen (weit über 50 m) und Stabhochsprung (3,70 m) erzielte der Abiturient beachtliche Leistungen.
Es fügte sich dennoch glücklich, dass an dieser Schule ein Sportlehrer namens Hermann Kleppe arbeitete, der selbst Handballer war und seine Schüler auch mit dieser Sportart vertraut machte. Das Ergebnis: Dieser Sport wurde für Kaldarasch die Nummer eins, Motor Bad Blankenburg sein erster Verein. Als er in Leipzig nach seinen besonderen sportlichen Interessen gefragt wurde, antwortete er: Handball. Eine Antwort, die sein künftiges Leben nachhaltig bestimmen sollte.
Dass der Linksaußen ein erfolgreicher Trainer werde würde, hatte sich auch nach dem Europapokal-Triumph gegen Honved Budapest in Paris keineswegs abgezeichnet. Kaldarasch verfolgte andere Pläne, wollte eigentlich Arzt werden. Deshalb studierte er auch noch Medizin, genau eineinhalb Jahre. Neiling, mit dem er gemeinsam ein Zimmer im DHfK-Internat bewohnte, erinnert sich noch gut, wie er dem Mediziner in spe mit dem Lehrbuch auf dem Schoß und einem Schädel in der Hand Fachbegriffe abfragte. „Ich war voller Respekt, was man da alles lernen musste“, so Neiling.

Kurz darauf änderte sich sein Leben erneut grundlegend. Er sollte die kuwaitische Nationalmannschaft übernehmen. „Das wollte ich aber nur, wenn ich mich mit den Spielern auch unterhalten konnte.“ Also lernte er ein halbes Jahr intensiv englisch, doch danach stand das Angebot der Kuwaitis nicht mehr. Dafür folgte eine Offerte aus Algerien. Kaldarasch lernte drei Monate französisch und arbeitete schließlich von 1977 bis 1979 bei den Nordafrikanern. Ebenso 1987/89 und 2004. Fast Jahre dauerte sein Engagement in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Daher rührt, dass er auch arabisch „über die Runden“ kommt. Allerdings nicht so perfekt wie die beiden anderen Sprachen, englisch und französisch unterrichtet er nach wie vor an der Schweriner Volkshochschule.
Weitere Stationen des Weltreisenden im Sachen Handball waren als Auswahl- beziehungsweise Klubtrainer oder auch Berater unter anderem Indien, Saudi-Arabien, Syrien, Kamerun und Mali. Mit seinen Teams nahm er mehrmals als Asien- und Afrikaspielen teil. Die Gastgeberschaft Indiens für die Asienspiele 1982 bescherten dem einstigen Europapokalsieger aus Leipzig ein ganz besonderes Erlebnis hatte. „Wenn ich einen Spieler einwechselte, kam er zu mir und küsste mir die Füße als Zeichen höchster Ehrerbietung.“ Es dauerte, aber schließlich verstanden die Spieler, dass ihrem deutschen Trainer ein Schulterklopfen reichte.
Autor: Winfried Wächter