Grüße aus China an Mister Schdoun

Ihr damaliger Trainer war Hans-Gert Stein, unter dessen Leitung der SC DHfK 1965/66 seine Tour durch Europa mit dem Sieg gegen Budapest gekrönt hatte. Die EC-Sieger schmunzeln, wenn sie die Episode der Jungs aus Berlin hören. „Sie haben Hansi Stein gut beschrieben“, sagt Dieter Wöhler. „Genauso war er auch zu uns. Er wurde nie besonders laut, sondern legte viel mehr Wert darauf, alles möglichst genau zu erklären.“ Das geschah natürlich zumeist vor dem Spiel. Da habe schon jeder gemerkt, wie akribisch sich der Trainer auf den jeweiligen Kontrahenten vorbereitet hatte. „Er brachte alles in Erfahrung, was möglich war. Wir wurde eigentlich nie von irgendetwas überrascht, was auf der Gegenseite passierte“, erinnert sich Wöhler.
Lothar Fährmann kann das bestätigen und verweist auf Gespräche direkt an der Bank. Es sei durchaus vorgekommen, dass drei Spieler auf einmal ausgewechselt wurden und sich Stein jedem von ihnen zuwandte, um ihm neue Instruktionen zu erteilen. „Oft hat er auch dem jeweiligen Außen, der immer an der Bank vorbeilief, Hinweise übermittelt, was sich ab sofort ändern sollte. Der hat dann an alle weitergegeben, wie sich jeder verhalten soll.“ Auszeiten, in denen solche Änderungen heute in erster Linie besprochen werden, gab es damals noch nicht.
Fährmann hatte mit Stein noch zusammengespielt. Auch auf dem Großfeld, wo Stein seinen größten Erfolg feierte. Bei der Weltmeisterschaft 1959 in Österreich holte er mit der gesamtdeutschen Mannschaft den Titel.
Steins Handball-Wiege stand beim SV Leipzig Ost. Hier hatte er zu dieser Sportart gefunden, die zum Mittelpunkt seines Lebens werden sollte. Vor dem Traineramt arbeitete er als Hochschullehrer an der DHfK und brachte den Studenten das Abc des Handballs bei. Seine entsprechenden Fähigkeiten wurden allseits geschätzt. So erhielt er 1958 eine Einladung nach China, um dort den Handball voranzubringen. Auch wenn sich die entsprechenden internationalen Erfolge des riesigen Landes in Grenzen hielten, Eindruck hat Stein dennoch hinterlassen. So wurde der Autor dieses Beitrags 1987 bei der B-WM der Frauen in Bulgarien von einem chinesischen Funktionär auf englisch angesprochen, um unbedingt Grüße nach Leipzig an „Mister Schdoun“ zu übermitteln. Es dauerte eine ganze Weile, bis der Groschen fiel: Gemeint war Mister Stone, also Herr Stein, der sich sehr freute, als die Bitte der Chinesen erfüllt wurde und er bei ihnen nach der langen Zeit nicht in Vergessenheit geraten war.


„Hansi galt unter seinen Kollegen als absoluter Fachmann“, weiß Wolf-Dietrich Neiling. „Er genoss überall hohes Ansehen.“ Neiling hat an der DHfK lange mit ihm zusammengearbeitet, wo die Trainer-Ausbildung absolviert wurde. „Da lief alles über ihn“, so Neiling. In der Saison 1966/67 hatte Stein sein Trainer-Amt an Paul Tiedemann übergeben und wieder seinen Dienst als Hochschullehrer angetreten. Unter seinen Studenten war auch der eine oder andere Prominente. 1974 kam im Rahmen des Internationalen Trainerkurses ein gewisser Hassan Moustafa an die berühmte Einrichtung nach Leipzig. Der junge Ägypter sollte später noch von sich reden machen, seit 2000 ist er Präsident der Internationalen Handball-Föderation.
Der in ganz Deutschland geschätzte und in Leipzig verehrte Hans-Gert Stein starb mit 69 Jahren am 21. Oktober 1998. Die Trauerrede hatte der bekannte Leipziger Sportmediziner und langjährige DHfK-Mannschaftsarzt Kurt Tittel gehalten. Steins Ansehen hatte natürlich nicht darunter gelitten, dass zu seiner beeindruckenden Erfolgsbilanz keine Medaille von der Spartakiade 1970 in Berlin gehörte. Die B-Jugend war auf Platz vier eingekommen. „Aber wir hatten den besten Trainer, den man sich vorstellen kann“, sagt Uwe Stemmler noch heute. „Er war ein beeindruckender Mensch.“ Die Europapokal-Sieger von 1966 sind von dieser Meinung natürlich nicht überrascht. Alle kannten die Eigenschaften ihres Trainers. Und alle aus dem Lager der Eurofighter wussten, dass auch die Leipziger B-Jugendlichen von Hans-Gert Stein schwärmen würden.
Autor: Winfried Wächter