Ein Mann für viele Fälle
Der gerade immatrikulierte Student ging Ende August oder Anfang September 1962 jedenfalls über den langen Flur, um sich zu orientieren und vertraut zu machen mit der neuen Umgebung, in der er die nächsten Jahre verbringen würde. Der 18-Jährige war aus Magdeburg gekommen, um wie alle seine Kommilitonen Diplomsportlehrer zu werden. „Da stand plötzlich Hansi Stein vor mir und wollte wissen, was ich hier mache“, erzählt Eichhorn.
Beide kannten sich. Wobei das mit dem Kennen vielleicht etwas übertrieben ist, aber wenn der eine, Eichhorn, zuvor bei den Handball-Meisterschaftsendrunden der Jugend in Berlin mit den Magdeburgern durchaus überzeugt hatte, war das dem Beobachter und Mann vom Fach aus Leipzig, Stein, natürlich nicht verborgen geblieben. Jetzt trafen sie in unmittelbarer Nähe der Grube-Halle unerwartet aufeinander, und der junge Mann antwortete höflich, dass er eben hier ab sofort studieren werde. Und wie sei das mit dem Handball? Wolle er nicht beim SC DHfK mitspielen?, fragte Stein. Eichhorn sagte sofort zu und bezog unmittelbar nach dem Gespräch Quartier im Internat des Sportclubs in der Friedrich-Ebert-Straße.
So ganz selbstverständlich erscheint Eichhorns Zusage keineswegs. Denn er hatte schon zuvor auch schon als Leichtathlet von sich reden gemacht. Schließlich war er wenige Wochen zuvor als A-Jugendlicher im damaligen Karl-Marx-Stadt DDR-Meister im Dreisprung geworden. Seine Siegsprung-Weite von 14,76 m nimmt sich auch heute noch beachtlich aus, die vom internationalen Verband geforderte Qualifikation für die Olympischen Spiele 1964 in Tokio betrug einen Zentimeter weniger. Eichhorn hatte gewissermaßen auch seinen Titel verteidigt, denn als B-Jugendlicher war er zwei Jahre zuvor ebenfalls Bester der Konkurrenz bei den Meisterschaften in Schwerin – jene Stadt, die in seinem Leben noch eine wichtige Rolle spielen sollte. Die olympische Goldmedaille bei den Spielen in Japan ging übrigens an Jòzef Szmidt aus Polen mit 16,85 m. Einen halben Meter weniger schaffte der Rostocker Manfred Hinze und wurde als Sechster bester Deutscher. Dass Eichhorn in diese Bereiche hätte vorstoßen können, galt nicht als ausgeschlossen.

„Ich war sozusagen das Küken in der Mannschaft“, sagt er. Doch es sei ihm leicht gemacht worden, es habe einfach alles gestimmt. „Die Zusammensetzung hat einfach gepasst, weil eben auch viele erfahrene Spieler dabei waren.“ Paul Tiedemann und Klaus Langhoff zum Beispiel. Und fast alle hatten wie er eine Leichtathletik-Vergangenheit. Auch das Studium habe viele Reize gesetzt, die seiner sportlichen Entwicklung sehr dienlich gewesen wären. „Wir mussten ja alle möglichen Übungen in vielen Sportarten absolvieren, das hat viele Muskelgruppen entwickelt.“ Nicht alles sei angenehm gewesen. Was ihm unter anderem in der Gymnastik abverlangt wurde, wäre schon eine ziemliche Herausforderung gewesen. So ganz vorschriftsmäßig sei ihm da wohl nicht alles gelungen. Doch auch das führte zu einem guten Ergebnis. Der junge Handballer musste sich dann oft die entsprechenden Bemerkungen einer Studentin anhören, die ihn dabei beobachtete – beide haben 2018 ihre (gemeinsame) Goldene Hochzeit gefeiert.
Aus dem ehemaligen Dreispringer war längst einer der besten Linksaußen in der DDR-Oberliga geworden. Seine Berufung in die Nationalmannschaft erschien daher folgerichtig. Eichhorn kam auf 38 Einsätze und warf dabei 62 Tore. Wobei man wissen muss, dass damals bei weitem nicht so viele Länderspiele ausgetragen wurden wie heute. 1967 gehörte er zur DDR-Auswahl, die bei der WM in Schweden Platz neun belegte. Ein Punkt hatte nach der Vorrunde zum Einzug ins Viertelfinale gefehlt.

Handball-Geschichte schrieb der EC-Sieger noch einmal. 1980 tauchte er wieder in der höchsten DDR-Spielklasse und kurz danach auf internationalem Parkett auf. Eichhorn war Schiedsrichter geworden, was für ehemalige Spieler – erst recht seiner Klasse – alles andere als selbstverständlich ist. Heinz Seiler, einstiger DDR-Auswahltrainer, hatte ihn überredet, nachdem sein ehemaliger Schützling ein Vorspiel der DDR-Nationalmannschaft geleitete und offenbar richtig gut gemacht hatte. „Ich wollte kein Heimschiedsrichter sein und auch keiner, der die Auswärtsmannschaft bevorteilt.“ Beides hatte er in seiner aktiven Zeit erlebt. Und beides war er nicht, wie ihm Wieland Schmidt bescheinigt.
Bis 1990 hat Eichhorn auch in diesem Metier Maßstäbe gesetzt. Wie schon zuvor als jugendlicher Dreispringer und späterer Handball-Linksaußen.
Autor: Winfried Wächter